|
Ein Lernprozess kann in verschiedene Etappen gegliedert werden (vgl. Abb. 21), die alle eine unterschiedliche geistige Verfassung erfordern. Bei den einen ist Weitblick gefordert, bei anderen die Fähigkeit, Fantasie walten zu lassen oder Details zu erarbeiten. Wichtig ist es, sich dieser Teilprozesse bewusst zu sein und nicht in jeder Lernphase zu versuchen, alles gleichzeitig zu machen (z.B. gleichzeitig das Vorwissen zu aktivieren und den neuen Inhalt zu erarbeiten). Bisweilen kann sogar versucht werden, die einzelnen Lernphasen bewusst durch einen Wechsel des Lernorts abzutrennen (z.B. Strukturieren am Pult, Memorieren auf dem Sofa oder durch die Wohnung spazierend).
Den verschiedenen Etappen des Lernprozesses ist genügend Raum zu geben.
Erwartungen an eine Prüfung können sehr unterschiedlich sein, sie reichen von «durchkommen reicht», «sehr gut abschliessen» bis zu ganz konkreten Notenvorstellungen. Eine möglichst klare, konkrete Formulierung der Prüfungsziele sollte deshalb zu Beginn einer Prüfungsvorbereitungsphase stehen, da so auch der zur Verfügung stehende oder bewusst eingesetzte Zeitrahmen einigermassen festgelegt wird (Steiner 2000: 99).
Eine genaue Bestimmung der Absichten ist aber auch für jede einzelne Lernsession sehr wichtig. Werden Vorsätze gefasst und Erwartungen konkretisiert, ist die Fokussierung auf den Lerninhalt einfacher, die Energie wird besser gebündelt. Die Absichten können ganz unterschiedlicher Art sein. Man kann sich beispielsweise vornehmen, ein schwieriges Kapitel genau zu verstehen, Zusammenhänge zu Inhalten anderer Fächer herzustellen, einen Gesamtüberblick über ein Skript zu erlangen oder die wichtigsten Punkte einer fachfremden Person in fünf Minuten darzulegen.
Die Zeit, die man für das Lernen benötigt, hängt vom beabsichtigten Ziel ab.
Möglichst früh sollte der Umgang mit Katalogen, Mikrofichen, Datenbanken, Fernleihe, EDV, Statistik- und Textverarbeitungsprogrammen geübt werden. Es empfiehlt sich, die notwendigen Informationen, Vorlesungsunterlagen und Notizen schon vor der eigentlichen Prüfungsvorbereitung zusammenzutragen. Die Literatur- und Informationssuche während der eigentlichen Lernphase ist äusserst mühsam und stört den Lernablauf. Zudem kann man sich erst einen Überblick über den Gesamtstoff verschaffen, wenn alle relevanten Informationen vorhanden sind.
Zu Beginn der Lernphase sollte alles Material bereit stehen.
In dieser Phase ist es wichtig, sich schon erworbenes Wissen in Erinnerung zu rufen und vielleicht Zusatzinformationen zu suchen, die den Einstieg in ein neues Thema erleichtern. Beim Aktivieren des Vorwissens ist Weitblick und die Fähigkeit, sich einen Überblick über Umfang und Inhalt des Lernstoffes zu verschaffen, gefragt. Damit verbunden ist die Wahl einer guten Einstiegsroute. Es lohnt sich, einem sinnvollen Einstieg in ein neues Thema einige Bedeutung zu schenken, auch wenn dies vielleicht zu Beginn das Gefühl von verlorener Zeit, das Gefühl, nicht wirklich gelernt zu haben, vermittelt. Denn ein guter erster Eindruck, beispielsweise über eine Anekdote, eine Biographie, über Analogien, über ein praxisnahes Beispiel, über Beispiele aus der eigenen Erfahrungswelt etc. ist entscheidend dafür, ob Neugier geweckt und Interesse aufgebaut werden kann. Zudem können durch einen guten Einstieg Querbezüge und Verknüpfungen hergestellt werden, die in einer späteren Phase das Erinnerungsvermögen begünstigen. Denn ein Lernstoff, der von unterschiedlichen Zugängen her erschlossen oder aus verschiedenen Forschungsperspektiven interpretiert werden kann, ein Lernstoff, bei dem Inhalte an Sinneserfahrungen geknüpft werden können, bleibt viel besser hängen als unverknüpfte Inhalte. Querbezüge zu schon bestehendem Wissen sind also für den Lernerfolg von zentraler Bedeutung.
Das Erarbeiten eines Lerninhalts ist der Teil des Lernens, der mit einem Entdeckungsprozess vergleichbar ist. Es handelt sich um einen sehr anspruchsvollen Arbeitsschritt, da hier die Inhalte verstanden und bisherige Erfahrungen mit den neuen Informationen zusammengefügt werden müssen. Wichtig in dieser Phase sind Analogien und (selbstgewählte) Beispiele aus der Erfahrungswelt, durch die abstrakte Wissensgebäude verständlich gemacht werden (Steiner 2000: 184). Zur Unterstützung dienen in dieser Phase Skizzen, um komplizierte Zusammenhänge aufzuzeigen, aber auch (Selbst-) Gespräche und Besprechungen der Lerninhalte mit Mitstudierenden. Denn diskutierte, erzählte, in Worte ausgedrückte Lerninhalte können in der Regel besser gespeichert und wiedergegeben werden.
An selbstgewählten Beispielen merkt man, ob man den Stoff verstanden hat.
In der Regel können in der zur Verfügung stehenden Zeit kaum alle Teilgebiete gleich ausführlich und genau gelernt werden. Reduktive Prozesse sind deshalb in verschiedenen Lernphasen von Bedeutung. In der Anfangsphase des Lernens muss entschieden werden, was zwingend gelernt werden muss und was weggelassen werden kann.
In der Erarbeitungsphase wird festgelegt, welche Lerninhalte und Kapitel nur überflogen und welche genau erarbeitet werden. Besonders wichtig ist es bei der Auswahl Prioritäten zu setzen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und sich nicht in Details zu verlieren. Oberflächlich gelerntes Detailwissen, das zu einem späteren Zeitpunkt nicht angewendet und repetiert wird, kann kaum gespeichert werden. In solchen Fällen ist es besser, sich auf einen Überblick zu beschränken. Sinnvoll ist vertieftes, fokussiertes Lernen, durch das wichtige Zusammenhänge und Hauptfragestellungen erschlossen werden können (Steiner 2000: 197).
Eine Reduktion – «Einkochen» auf das Wesentliche – des Stoffes ist in den meisten Fällen unumgänglich.
Beim Strukturieren (vgl. «Literaturverarbeitung») werden Inhalte kategorisiert, Hierarchien gebildet, Fragmente in grössere Zusammenhänge gestellt und Schlüsselwörter ausgewählt. Damit wird der Lerninhalt in eine Form gebracht, in der er zu einem späteren Zeitpunkt gut memorier- und abrufbar ist. Wissen wird also verdichtet. Es beansprucht weniger Platz im Gedächtnis und ist deshalb besser überblickbar als unstrukturiertes Wissen (Steiner 2000: 195).
Lohnenswert ist es, sich vor dem eigentlichen Lernbeginn ein bis zwei Tage Zeit zu nehmen, um die einzelnen Fachgebiete in einen Zusammenhang zu stellen und die Inhalte gedanklich zu strukturieren. Oft bestehen inhaltliche Parallelen und Querbezüge, die auch genutzt werden können, sofern sie logisch eingeordnet sind. Für die Strukturierung von Texten und Lerninhalten gibt es diverse Hilfsmittel und Techniken, so zum Beispiel mind maps, Skizzen, Zusammenfassungen, das Herausstreichen mit Leuchtstift und Strukturanalysen.
Durch das Strukturieren verschafft man sich einen Überblick.
In mind maps kristallisiert sich der Gegenstand der Aufmerksamkeit (Überbegriff, Vortragsthema etc.) in einem Zentralbild (vgl. Abb. 22). Assoziationen und dem Zentralbegriff untergeordnete Themen strahlen wie Äste aus, von denen wiederum Zweige, also nochmals untergeordnete Begriffe, ausgehen (Buzan 1996: 59). Eine mind map unterscheidet sich stark von Standardnotizen und linearen Aufzählungen. Bei Standardaufzeichnungen sind Schlüsselwörter oft verschleiert, da sie in verschiedenen Zusammenhängen auftauchen. Mind map-Experten streiten sich über den Sinn von computergenerierten mind maps. Sie argumentieren, dass die Strukturen besser verankert bleiben, wenn man sie von Hand macht. Wichtige Informationen können in der Masse untergehen. Sie sind oft visuell langweilig, was das Erinnern erschwert und unseren assoziativen Fähigkeiten wenig entgegenkommt. Die Kreativität des Gehirns wird nicht angeregt, weshalb die Lust am Lernen und die Konzentrationsfähigkeit reduziert werden (Buzan 1996: 49).
Abb. 22: Beispiel einer mind mapDurch die Hierarchien und Kategorien der mind map wird das Erinnerungsvermögen gesteigert, da so einzelne Wörter nicht willkürlich, d.h. unabhängig ihrer Bedeutungsstufe aufgelistet werden (Buzan 1996: 84).
Es empfiehlt sich, mind maps zusätzlich mit Farben (Äste als einzelne Farbstränge), Bildern oder Symbolen zu intensivieren. Auf Deutlichkeit und Übersichtlichkeit (also nur einen Schlüsselbegriff pro Linie verwenden, Zentrallinien sinngemäss dicker, klare Gestaltung) ist zu achten. Überfüllte, chaotisch aufgebaute Bilder machen den Hauptzweck von mind maps, nämlich die Strukturierung und Förderung von Assoziationen, zunichte (Buzan 1996: 59). Dienen mind maps als Grundlage für eine Rede, können numerische Ordnungen zusätzlich eingesetzt, also die Äste nach ihrer chronologischen Reihenfolge nummeriert werden.
Mind maps können auch für die Mitschrift in Vorlesungen oder als Stichwortmanuskript für Vorträge verwendet werden.
Auch wenn gestalterische Tipps zu Beginn helfen können, ist es generell sinnvoll, bei mind maps nicht nach strikten Regeln und Vorschriften vorzugehen, sondern möglichst einen persönlichen Stil zu entwickeln. Das Erstellen einer mind map ist ein schrittweiser Prozess, der bereits mit einem Lerneffekt verbunden ist.
Beim Erfassen von Texten, sollte man sich zuerst einen Zugang zum Text verschaffen: Inhalt, Hauptüberschriften, Ergebnisse und Schlussfolgerungen überblicken. Danach werden Zentralbild und Hauptäste der mind map bestimmt. Mit zunehmendem Textverständnis und detaillierteren Informationen wird die mind map immer mehr ergänzt und erst fertiggestellt, wenn auch schwierige Inhalte integriert werden können. Es geht also nicht darum, zuerst eine mind map vollständig zu erstellen und deren Inhalte danach zu repetieren. Idealerweise sollte bereits das Erstellen einer mind map die Strukturierung und das Textverständnis fördern und somit ein wichtiger Teil des gesamten Lernprozesses sein (Buzan 1996: 144).
Bevor man sich überhaupt mit dem Inhalt eines Buchs oder Skripts abgibt, ist es empfehlenswert, Aufbau, Struktur und Umfang des Textes zu analysieren. Die eigentliche Lernphase wird dadurch erheblich vereinfacht, da man nicht mit unvorhergesehenen, nicht einzuordnenden Inhalten konfrontiert wird. Folgende Ebenen können bei einer Strukturanalyse eines Textes unterschieden werden (Steiner 2000: 166):
Ein klar strukturierter Lernstoff vereinfacht das Lernen erheblich.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass bei klarer Strukturierung des Lernstoffs die Inhalte besser abrufbar sind. Allerdings ist eine gute Struktur allein noch nicht hinreichend für gutes Erinnern.
Elaborierte, reduzierte und strukturierte Inhalte können besser eingeprägt und gespeichert werden. Allerdings gibt es auch so immer wieder Lernstoff, den man trotz mehrmaligem Repetieren immer wieder vergisst. Bei schwer zugänglichen Inhalten wie z.B. beim mechanischen Auswendiglernen von Formeln oder abstrakten Sachverhalten, hilft es, trotz hohem Zeitaufwand Merkhilfen, Eselsbrücken und Geschichten zu bilden.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass das Vergessen nicht grundsätzlich schlecht ist. Es trägt zur Qualität des Wissens bei. Unverknüpftes, veraltetes oder nicht angewandtes Wissen wird automatisch ausgelöscht. Hängen bleibt somit nicht bruchstückhaftes, sondern verdichtetes, fokussiertes Wissen (Steiner 2000: 216).
Eselsbrücken helfen bei Inhalten, die man leicht vergisst.
Beim Repetieren geht es darum, die reduzierten und strukturierten Inhalte zu speichern. Erstmalig memoriertes Wissen wird in der Regel viel schneller vergessen als solches, dass über grosse zeitliche Abstände hinweg immer wieder abgerufen wird. Deshalb sollte am Vortag erarbeitetes Wissen am nächsten Tag wiederholt werden, bevor weitere Inhalte erarbeitet werden. Somit braucht das Repetieren am nächstfolgenden Tag nicht allzu viel Zeit und der Zeitabstand zwischen der Elaborierungs- und der Repetitionsphase wird kurz gehalten.
Erst durch die Repetition wird der Stoff verankert.
Pro Fach wird eine Lernkartei erstellt mit einer Unterteilung nach Wochentagen und einer Unterteilung nach Wochen bzw. Monaten. Heute erarbeitete Lerninhalte wandern ins nächste Tagesfach, damit sie gleich nochmals repetiert werden. Inhalte, die hängengeblieben sind, wandern in der Lernkartei eine Woche nach vorne, werden also erst wieder in einer Woche angeschaut. Nicht Memoriertes wandert immer wieder ins nächste Tagesfach, und zwar so lange, bis man es sich merken kann. In der nächsten Woche beginnt dasselbe wieder von vorne. Bekannte Inhalte wandern ins nächste Monatsfach, noch Unbekanntes wieder schrittweise über das nächste Tagesfach ins nächste Wochenfach und schliesslich ebenfalls wieder in den nächsten Monat. Die Lerninhalte eines Fachs werden dadurch fortlaufend repetiert. Das hat den Vorteil, dass der Berg von noch nicht repetierten Inhalten vor den Prüfungen nicht zu gross wird und bei Zeitknappheit nicht untergeht (Steiner 2000: 233). Bei sehr vielen einzelnen Fachgebieten bietet sich diese Technik aber kaum an, da das parallele Führen und Nutzen sehr vieler Lernkarteien ausserordentlich zeitaufwändig ist. Die Idee, Inhalte zuerst in sehr kurzen, mit der Zeit in immer längeren Zeitabständen zu repetieren, kann aber auch ohne Lernkartei angewendet werden und zahlt sich auf jeden Fall aus.